Eines der großartigsten und aufwendigsten Porträts von Jane Morris, erschaffen in der späteren Phase von Rosetti’s Karriere, "Astarte Syriaca", versinnbildlicht das Ideal der üppigen, sinnlichen Frau als Muse. Nach dem Tod seiner Frau Elizabeth Siddall im Jahr 1862 kehrte Rosetti zum Darstellungsgegenstand der weiblichen Figur mit noch größerer Intensität zurück und erfasste seine Modelle – einschließlich Jane Morris, langjähriges Modell und Geliebte, sowie Ehefrau seines engen Freundes William Morris – mit einem zwanghaften Sinn für Sinnlichkeit, welcher ein neues Thema in seiner Arbeit einleitete.
Astarte, Göttin des Krieges, der Liebe und der Fruchtbarkeit in unterschiedlichen Glaubenssystemen des mittleren Ostens (wo sie auch bekannt war unter den Namen Astoreth oder Isthar), wurde von Rosetti als die interessantere und stärkere Vorläuferin zur griechischen Aprhodite und römischen Venus eingeschätzt, wie er in dem Vers andeutet, der das Bildnis begleitet ("Mystery: lo! betwixt the Sun and Moon / Astarte of the Syrians: Venus Queen / Ere Aphrodite was").
Rosetti stellt Jane in diesem Gemälde dar als eine Ikone der Sehnsucht und der sinnlichen Perfektion. Der direkte Blick, die entblößte Schulter und sie starke Haltung enthüllen die Stärke ihrer eigenen Sexualität. Hinter ihr die Fackeln tragenden Begleiter (von denen eine nach May Morris, Jane’s Tochter, gestaltet wurde), eine Mondsichel repräsentiert ihr Verhältnis zum Kosmos sowie zur göttlichen Unsterblichkeit ihrer weiblichen Schönheit. Rosetti’s poetische Anspielung auf die Figur „Frau mit Sonne bekleidet“ aus der Offenbarung 12:1 verdeutlicht weiterhin seine Wahrnehmung der göttlichen und kosmischen Kraft in der Schönheit des Weiblichen.
Dieses Gemälde, dem Stil nach venezianisch und daher Rosetti’s Multikulturismus widerspiegelnd, wurde zu seiner Zeit für seine starken, ja verstörenden, erotischen Inhalt kritisiert. Exemplarisch für die Art seiner Beziehung zu Jane Morris zeigt Rosetti’s Umgang mit Farbe und dem weiblichen Gegenstand ein Gefühl von Melancholie in dieser Arbeit – eine Stimmung, die seine eigene tragische Liebe zu Jane enthüllt, die zweite große Muse seines Lebens.